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Monatsarchiv: Oktober 2018

Mardi Himal: Der steilste Abstieg

24 Mittwoch Okt 2018

Posted by Andie in Nepal

≈ Ein Kommentar

Schlagwörter

Abstieg, Annapurna, Aufstieg, Dashain, Höhenkrankheit, Machhapuchhre, Mardi Himal, Pokhara, Wandern

Wenn in Nepal das Leben still steht, weil alle nach Hause fahren, um Dashain zu feiern – das höchste Fest der Hindus, vergleichbar mit Weihnachten – nutzen wir die Zeit für eine Wandertour. Diesmal haben wir uns ein wenig bekanntes Ziel herausgesucht: der Mardi Himal Trek ist erst seit 2012 für die Öffentlichkeit freigegeben.

Wir starten mit dem Jeep in Kathmandu. Diese Strasse ist etwas besser als die anderen, die wir sonst so kennen, dennoch kommt es durch Lastwagen und Busse zu vielen Staus. Mit einer Mittagspause brauchen wir gute acht Stunden für die rund 200 Kilometer bis Pokhara. 

In Pokhara angekommen marschieren wir direkt zum Tourismusbüro, um uns die notwendige Wander-Genehmigung und den Touristenpass zu holen. Hierfür benötigt man jeweils zwei Passfotos, die man in der Regel direkt vor Ort anfertigen lassen kann, und jeweils 2.000 Rupien für die Gebühr. 

Abends gönnen wir uns ein letztes köstliches Abendessen beim Italiener Caffe Concerto, mit dem Wissen, dass wir in den nächsten Tagen wenig kulinarische Abwechslung erwarten können. Aber wir sind ja nicht zum Schlemmen hier!

Tag 1: Phedi- Dhampus – Deurali – Pothana

Wir lassen uns von Pokhara mit dem Jeep nach Phedi bringen, wo unsere Wandertour beginnt. Zum Einstieg erwarten uns steile Steinstufen inmitten eines dichten Waldes. Wundervolle Vögel zwitschern ein Lied, Affen kauern am Wegesrand, Schmetterlinge tanzen vor unserer Nase. Mittags machen wir Pause in einem kleinen Teehaus und stellen mit einem Blick ins Tal erstaunt fest, wie weit wir schon gekommen sind. 

Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir Pothana und bestellen gleich eine Thermoskanne Ingwer-Zitronen-Tee mit dem lokalen Khukri Rum zum Aufwärmen. Ein schwarzer Hund legt sich vor die Tür und hält Wache.

Unsere nepalesischen Freunde Rajina und Rashil zeigen uns ein witziges Kartenspiel. „Gulam Tschor“ ist eine Art schwarzer Peter. Man legt seine doppelten Karten aus und zieht im Uhrzeigersinn vom Anderen eine Karte, in der Hoffnung, ein Pärchen zu erhalten und so die Karten loszuwerden. Wer zuletzt einen Joker übrig hat, muss zur allgemeinen Erheiterung fünf Kniebeugen machen und sich dabei mit überkreuzten Armen an den Ohren fassen. Ratet mal, wer verloren hat? 

1-Phedi-Dhampus-Deurali-Pothana
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Tag 2: Pothana – Pitam Deurali – Kokar Forest Camp

Um sechs Uhr morgens springen wir aus den Betten, um den Sonnenaufgang zu bewundern. Früh aufstehen lohnt sich immer, da am Morgen die Berge frei sind von Nebel. Nachdem wir ausgiebig geknipst und gefrühstückt haben, wandern wir los. Der schwarze Hund hat auch Lust auf Abenteuer und folgt uns. 

Durch die Bäume des Urwalds schimmert immer wieder der Machhapuchhre, mein Lieblingsberg. Der „Fischschwanz“ ist 6.997 Meter hoch. Mit den moosbewachsenen Bäumen, Flechten und Farnen wirkt die Gegend wie ein verzauberter Märchenwald. Unsere Märchenkönigin Asja sorgt für sagenhafte Geschichten 🙂

Unterwegs treffen wir zwei junge Männer, die kiloweise Gras in einem Korb auf dem Rücken schleppen. Einer fragt, ob uns der Hund belästige. Aber nein, er folgt uns schon den ganzen Tag. „Das ist mein Hund, Kali“, sagt der Mann. Dann fordert er sein Tier auf, mitzukommen. Der Hund blickt von seinem Herrchen zu uns. Dann entscheidet sich Kali, das „schwarze Mädchen“, für uns. Grinsend ziehen die Männer weiter. Anscheinend geht die kleine Abenteurerin öfters zwischen den beiden Orten auf Tour. 

Als wir im Forest Camp ankommen, realisieren wir, das wir uns in einer Art Wettkampf befinden: wer zuerst kommt, schläft zuerst – in einem Zimmer im Guesthouse. Wer wie wir unbeabsichtigt zwei Stunden Pause macht im Tea Shop Rhododendron, wo die Zubereitung von Dal Bhat zwei Stunden dauert, kommt zu spät. Immerhin ergattern wir den letzten Schlafplatz und dürfen alle sechs auf einer Pritsche in einer Wellblechhütte nächtigen. Nach uns kommen noch ein paar Wanderer, sie übernachten im Gastraum, wo das Essen serviert wird, wer das Camp noch später erreicht, muss mit einem Zelt vorlieb nehmen, was bei den eisigen Temperaturen nachts wahrscheinlich kein Spass ist. 

1-Pothana-Pitam Deurali-Kokar Forest Camp
2-Pothana-Pitam Deurali-Kokar Forest Camp
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4-Pothana-Pitam Deurali-Kokar Forest Camp
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6-Pothana-Pitam Deurali-Kokar Forest Camp

Tag 3: Forest Camp – Low Camp – Badal Danda

Diesmal sind wir bereit für den Wettlauf und stellen uns den Wecker auf fünf Uhr. Noch vor dem ersten Hahnenschrei kriechen wir aus unserer Wellblechhütte. Schnell einen Tee hintergekippt und ein hartgekochtes Ei mit Chapati verputzt, schon machen wir uns auf den Weg. Nach einer halben Stunde erreichen wir das Rest Camp mit einer fantastischen Aussicht auf den Machhapuchhre. Wir stärken uns mit Tee, dann geht es weiter Richtung Low Camp. Wieder wandern wir durch den verwunschenen Märchenwald. 

Kurz nach neun Uhr erreichen wir das Low Camp. Diesmal erkundigen wir uns, was am Schnellsten zuzubereiten ist und bestellen Nudelsuppe. Dann organisieren wir einen Porter, der das Gepäck unserer Freundin mit Rückenschmerzen zum High Camp bringen und dort auch gleich Zimmer für uns reservieren soll. Es stellt sich heraus, dass er das nicht machen kann/will/darf, also befinden wir uns immer noch im Wettlauf um ein angenehmes Zimmer. Unser Vorsprung schmilzt dahin, weil die Zubereitung des Tees länger dauert als erhofft. Da hilft nur tief durchatmen und entspannen!

Bei der nächsten Teepause in Badal Danda wundern wir uns, als unsere Nepalis lange nicht nachkommen. Da Rajina schon vorher schlecht war, vermuten wir, dass sie die Höhenkrankeit erwischt hat. Spontan beschliessen wir, an diesem Ort zu bleiben. Wir inspizieren die Zimmer – einfach, aber okay. Immerhin hat jeder sein eigenes Bett. Kurz darauf treffen Rashil und Rajina ein. Sie sind erschöpft, aber gesund und mit unserer Entscheidung einverstanden. Wir verbringen einen gemütlichen Nachmittag mit Tee am Holzofen. Zwischen den Wolken erhaschen wir einen Blick auf Annapurna South und freuen uns schon auf den Sonnenaufgang am nächsten Tag. „Badal Danda“ heisst übersetzt: Berg in den Wolken, sehr treffend. 

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Dank unseres Freundes Bernd, der seit zwanzig Jahren im Land ist und nepalesisch spricht, erfahren wir, dass die junge Frau, die hier den Laden schmeisst, aus einem Dorf in der Nähe stammt und in Pokhara in die zwölfte Klasse geht. In den Dashain-Ferien erledigt sie hier oben einen Ferienjob. 

Während wir am warmen Ofen sitzen und plaudern, prasselt ein ordentlicher Schauer herunter. Wir sind froh, im Trockenen zu sitzen, freuen uns aber jetzt schon auf die verschneiten Berge, die wir morgen erwarten können. 

Zu Dashain herrscht Hochbetrieb und es sind ungewöhnlich viele Nepalis unterwegs, die nicht zu Hause bei den Eltern verbringen, sondern lieber Urlaub machen. Modern times. 

In den Hütten gibt es nur Solarenergie, ergo bei Regen keinen Strom. Wenn es dann auch noch neblig wird, spenden Kerzen ein heimeliges Licht. 

Der Übergang zum Abend ist fliessend und nach einem gemütlichen Abendessen gehen wir früh ins Bett – allerdings müssen wir daran denken, das Frühstück für morgen zu bestellen, damit wir nicht wieder lange warten müssen. 

Tag 4: Badal Danda – High Camp

Sobald die Dämmerung anbricht, werfen wir einen Blick aus dem Fenster und wer steht da? Der Machhapuchhre! Schnell ziehen wir uns an und eilen auf den nächsten Hügel, um den Sonnenaufgang über den Bergen zu beobachten. Etwas außer Atem kommen wir dort oben an. In wenigen Minuten wechseln die Farben von nachtschwarz zu blau, dann färbt sich der Himmel rosa und schließlich glimmen die Bergspitzen gold, orange und gelb. Welch ein Farbschauspiel! 

Unser heutiges Ziel, das High Camp liegt auf 3.540 Metern. Wir kommen gut voran und werden für unseren frühen Aufstieg belohnt: wir machen schnell vier Zimmer im Guesthouse klar. 

Auch hier zieht sich der Himmel zu, eine milchige Brühe versperrt die Sicht, doch wir konnten noch einen kurzen Blick auf die Siebentausender Annapurna Südwand und den Hiunchuli werfen. Wir erahnen, was uns morgen erwarten wird.

Zur Akklimatisierung klettern wir zum ersten Aussichtspunkt auf ca. 4.000 Metern hinauf. Der Weg ist sehr steil, an manchen Stellen müssen wir buchstäblich klettern und uns mit beiden Händen festhalten. Wir blicken hunderte Meter in den Abgrund. Vorsichtig setzen wir einen Schritt nach den anderen. Kein Wunder, dass hier immer wieder Wanderer verschwinden. Mit Herzklopfen tasten wir uns voran und … geschafft.

Am späten Nachmittag schauen wir nach Rashil und Rajina, die sich zurückgezogen haben. Schnell ist klar, warum: Rajina hat tatsächlich die Höhenkrankheit! Sie sitzt wie ein Häufchen Elend über ihrer Knoblauchsuppe und zeigt die typischen Symptome: Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Da hilft nur eins: Abstieg! Wir wollen sie begleiten, doch da bricht schon die Dämmerung herein. Keine gute Idee für Ortsunkundige, allein herumzuspazieren. Also organisieren wir zwei Männer, die das Gepäck tragen und die beiden hinunter führen. Wir bedauern Rajina, die mitten in der Nacht den steilen Weg hinab steigen muss! Doch da ist nichts zu machen, die Höhenkrankheit muss man ernst nehmen. Wir verabschieden uns von den Beiden und hoffen, dass sie heil ankommen. Da waren’s nur noch Vier….

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Tag 5: High Camp -View Point – Sidhing

Wir müssen keinen Wecker stellen, denn ab 4 Uhr stehen alle auf, um rechtzeitig zum Sonnenaufgang den Aussichtspunkt auf 4.200 Metern zu erreichen. Das ganze Guesthouse rumort. Wir haben es nicht ganz so eilig, brechen aber auch gegen Fünf auf. Durch die Dunkelheit tapsen wir los, geführt von unserem lokalen Guide Bernd. Es gibt noch einen zweiten Weg, der nicht so gefährlich ist wie der, den wir gestern genommen haben. Ganz vernünftig entscheiden wir uns für diese Route. Nach einer guten halben Stunde verändert sich das Licht, die Konturen werden schärfer und die Farben treten hervor. Wir begegnen einer Herde Yaks, die bei Wind und Wetter und mit Raureif auf dem Rücken der Kälte trotzen. Allmählich schält sich das Annapurna Massiv aus der Dunkelheit heraus. Daneben glitzert der Machhapuchhre in den ersten Sonnenstrahlen. 

1-High Camp-View Point
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Ist es ein Traum? Nein, meine Finger sind fast taub vor Kälte, die Atemluft schimmert silbern. Es ist Tag und ich muss da rauf! Eine unbeschreibliche Energie treibt mich voran, ich will sehen, was sich hinter dem letzen Hügel verbirgt, die Aussicht muss wunderbar sein. Und ja, gegen sieben Uhr erreichen wir den Aussichtspunkt und es ist wie erwartet: spektakulär! 

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Abstieg von 4.200 Metern auf 1.700

Wir treiben uns gute zwei Stunden dort oben herum, knipsen tausend Fotos und trinken Tee in der Teehütte eines geschäftigen Jungen, dann steigen wir hinab zum High Camp. Dort stärken wir uns mit nur einem Pfannkuchen, was sich später rächen wird, packen unsere Sachen und nehmen Anlauf zur letzten Etappe: wir wollen die alternative Route über Talung Danda nach Sidhing nehmen. Von den Einheimischen ist noch niemand den Weg gelaufen, doch mit Pfadfinder Bernd fühlen wir uns sicher. Laut Hinweisschild dauert der Abstieg etwa dreieinhalb Stunden. Wir gehen davon aus, dass es sich um eine Zeitangabe von und für Nepalis handelt und rechnen mit etwa fünf Stunden für uns. Was für ein Irrtum!

Gegen halb zwölf starten wir und schon ändert sich wieder das Wetter: es wird milchig trüb und neblig. Angeführt von Bernd folgen wir der blauen Markierung und marschieren durch die karge Gegend: die Grasflächen dienen den Yaks als Weidegrund. Nach ungefähr zwei Stunden erreichen wir die Baumgrenze: die ersten Rhododendronbäume markieren den Eingang zum Märchenwald. 

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Bienenattacke

Der Wald wirkt noch dichter und gespenstischer als der beim Aufstieg. Blaue Zeichen markieren den Weg. Manchmal gibt es an jedem Ast einen Hinweis, manchmal müssen wir suchen. 

Wir marschieren steil abwärts. Da bemerkten wir einen wilden Bienenschwarm in einem Loch am Boden. „Schau mal, wilde Bienen“, sagt Asja. „Die tun nichts“, erwidere ich und laufe weiter. Plötzlich kreischt Asja auf, fuchtelt mit dem Armen. „Hilf mir!“ Noch ehe ich begreife, was überhaupt los ist, schreit auch auch Silvio. „Ahhh, ich brauche auch Hilfe!“ Hunderte Bienen brummen bedrohlich und machen Jagd auf die Beiden. Ich renne von einem zum anderen, wische vorsichtig die Bienen weg. Innerhalb von Sekunden ist das Schauspiel vorbei. Die Bienen sind verschwunden, doch unzählige Stiche auf Händen, Armen und Rücken sind geblieben. Wir brechen alle in einen hysterischen Lachanfall aus. 

Nun fällt der Abstieg noch schwerer, doch wir bleiben tapfer. In der Zwischenzeit ist klar, dass wir viel länger brauchen, als gedacht und wollen nur bis zum nächsten Teehaus, um dort zu übernachten. Der mystische Wald erscheint immer unheimlicher. Plötzlich sind die blauen Zeichen verschwunden! Vorsichtig blicken wir uns um – jetzt ist auch Bernd nicht mehr da. Beeeeeernd??? Mit klopfendem Herzen spähen wir durch die dichten Bäume. Haben die Waldgeister ihn verschluckt? Dann hören wir ihn. Hier! Ah, er hat den richtigen Weg gefunden! Durch einen Erdrutsch waren die Zeichen verloren gegangen, doch unser Pfadfinder führt uns wieder auf den richtigen Weg. 

Endlich lichtet sich der Wald, da steht das Teehaus. Erleichtert atmen wir auf. Aber, oh nein – es ist geschlossen! Wir können es nicht fassen und rütteln an der Tür. Spähen hinein: da gibt es Essen und Strom. Ob wir die Tür eintreten sollen? Wir entscheiden uns dagegen. Wenn wir uns jetzt beeilen, schaffen wir es bis Sidhing. 

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Allein im dunklen Wald

Weitere zwei Stunden stapfen wir durch den immer dunkler werdenden Wald. Wir haben nicht genügend Lampen dabei – eine ist im Rucksack beim Träger, die andere haben wir Rashil für die Rettung von Rajina gegeben. Immerhin haben unsere Telefone eine Taschenlampe. Wir tasten uns voran, versuchen, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen und uns dabei nicht die Beine zu brechen auf dem holperigen Weg. Jetzt fängt es auch noch an zu regnen!

Irgendwo ruft eine Stimme. Bernd geht darauf zu. Dank seiner Nepali-Kenntnisse erfahren wir von einer alten Frau, dass es „nicht mehr weit“ ist. Aber was heißt „nicht mehr weit“? Zehn Minuten, eine Stunde? Wir müssen es selbst herausfinden und stolpern weiter. 

Da teilt sich der Weg – müssen wir abbiegen oder geradeaus? Im Zweifel runter, also entscheiden wir uns für diese Richtung und hoffen inständig, dass es die richtige ist. Der Pfad wird immer schmaler. Ist es ein altes Flussbett? Sind wir noch richtig? Jetzt bloss nicht in Panik geraten! Wir bleiben so ruhig wie möglich, reden kaum noch. Es wird immer kälter, doch wir sind verschwitzt, die Klamotten sind durchnässt. 

Endlich erreichen wir das Ende des Waldes, die Lichter eines Dorfes erscheinen. Eine furchtbar steile Steintreppe führt uns hinab. Auf der anderen Seite des Tals leuchtet warmes Licht, ob das unser Guesthouse ist? Aber dann müssten wir hinuntersteigen, durch das Tal und wieder hinauf! Das schaffen wir niemals! An einer Hütte wartet ein junger Mann. Er wurde ausgeschickt, uns einzusammeln. Wir sind erleichtert. Aber auch wieder beunruhigt, als er auf unsere Frage, wie weit es noch sei, antwortet: „nicht mehr weit“. Eine dunkle Vorahnung überfällt uns. 

Wir schleppen uns den Berg hinab. Unten angekommen überqueren wir das Tal über eine Hängebrücke, die sich ewig entlangzieht. Nach der Brücke durchlaufen wir das Dorf, überschreiten einen kleinen Fluss, stapfen durch das Dorf auf der anderen Seite weiter, dann geht es steile Steinstufen wieder hinauf. 

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Über dreitausend Höhenmeter in dreizehn Stunden

„Jetzt ist es nicht mehr weit“, sagt der junge Mann. Hat er das nicht vor einer Stunde schon gesagt? Wir nehmen alle Kräfte zusammen, kriechen den Berg hoch, folgen einer kleinen Gasse an einzelnen Wohnhäusern vorbei. Mittlerweile spricht das ganze Dorf von den Wanderern, die aus dem Wald kommen. Der Weg zieht sich über einen weiteren Hügel, es geht noch steiler hinauf. Da sind noch ein paar Stufen und – ein Licht. Warmes Licht leuchtet, wir kommen immer näher. Ja, das ist das Licht, das wir vor einer Ewigkeit auf der anderen Seite des Tals gesehen haben. Sind wir tatsächlich so weit gelaufen? Völlig erschöpft erreichen wir unser Guesthouse. Meine Füsse brennen, ich kann mich kaum noch bewegen, alles schmerzt. 

Irgendwie schaffen wir es in das Haus. Der Gastraum befindet sich – oben! Noch einmal Treppensteigen. Wir schleppen uns hinauf, bestellen ein Bier und Dal Bhat. Noch nie schmeckte es so köstlich wie heute!  

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Dashain-family

Die Schweiz Nepals

10 Mittwoch Okt 2018

Posted by Andie in Nepal

≈ 2 Kommentare

Schlagwörter

Halesi, Jiri, Landschaft, Motorrad, Royal Enfield, Schweiz, Tempel

Schon mal auf dem Motorrad eingeschlafen? Auf einer aalglatten Straße, wie ich hier in Nepal niemals zu träumen gewagt hätte, döse ich auf dem Sozius ein.

Dabei hätte ich nie im Traum daran gedacht, dass ich jemals mit einer Motorradgang durch Nepal düsen würde. Wie komme ich überhaupt zu einer Motorradgang? 

Die wilde Truppe formiert sich aus Mr. Boss, seinem Team und Kollegen der Partnerorganisation. Das Team hatte kühn behauptet, bei der Tour über 200 Kilometer an einem Tag mit dem Motorrad fahren zu wollen. 200km? An einem Tag? Auf diesen Straßen? Unmöglich! Das musste ich mir ansehen. 

Das beste Gefährt für eine solche Tour ist eine die Royal Enfield 500cc, ein indisches Motorrad, das selbst eingefleischte Motorradhasser wie mich mit seinem eigentümlich blubbernden Motorsound beeindruckt. 

Ausgeliehen bei einem Schlitzohr in Thamel, der sich nicht darum schert, dass Motorräder eigentlich nicht mehr an Ausländer verliehen werden dürfen, und ausgestattet mit Staubmaske und staubgeschützten Seesäcken machen wir uns auf den Weg. 

Kaum liegt das Kathmandu Valley hinter uns, ist es auch schon Zeit für das Mittagessen. Denn Mittag ist hier schon um halb elf. Gut gestärkt mit Dal Bhat, dem Nationalgericht, sind wir bereit für die große Fahrt. Mit Vorfreude sitzen wir im Sattel doch dann – bockt die Enni. 

Nach 50 km gibt das Motorrad den Geist auf. Sämtliche Versuche der gesamten Motorradgang bleiben erfolglos. Das Ding gibt keinen Mucks mehr von sich. Zum Glück liegt die Strasse runter eine Motorradwerkstatt. Der emsige Mechaniker probiert über eine Stunde alle Tricks und Kniffe, befeuert von guten Ratschlägen des halben Dorfes. Während sich die Jungs an dem Motorrad zu schaffen machen, schlafe ich auf der Werkbank ein. Als ich wieder erwache, kommt die Nachricht, dass wir eine neue Enni bekommen. Wir warten am Ufer eines Flusses, wo sich die Jungs einen irrsinnigen Spass daraus machen, riesige Steine ins Wasser plumpsen zu lassen, um sich gegenseitig nasszuspritzen. Schließlich tuckert ein Angestellter des Motorradverleihers, der Boy, wie man hier sagt, heran und überlässt uns eine neue Enni: zwar kleiner als die andere, aber rot. Passt.


So beginnt endlich die große Motorradtour und sie führt uns auf die schönste Strasse, die ich jemals in Nepal gesehen habe. Die Einheimischen nennen sie die Green Road, weil sie mit lokalem Material nachhaltig gebaut wurde. Darauf gibt es keine Buckel und keinen Staub. Sie wirkt wie eine europäische Autobahn, führt über Serpentinen weich fliessend auf und ab. Ich bekomme einen Geschwindigkeitsrausch bei 50km/h. 

Aber warum ist diese Strasse so wunderbar anders als alle anderen Strassen des Landes? Die Erklärung ist einfach: diese Strasse führt nach Solukhumbu, die Region, wo der Mount Everest steht. Sie ist also für die Touristen so fein gemacht. Auch wir sind heute Touristen und freuen uns über den Ausblick auf das Flussbett des Sunkhoshi River, der in Tibet entspringt und in den Ganges mündet. Wie im Traum sausen wir dahin, lassen Kilometer um Kilometer und den Tag hinter uns.  

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Sternenhimmel – unter uns, vor uns, über uns

Ist das eine neue Sternenformation vor uns im schwarzen Nachthimmel? Aber nein, das muss eine Ansiedlung sein, dort oben in den Bergen, wo die immer gleiche, grelle Stromsparlampe in einzelnen Hütten blendet. Die Grenze zwischen Himmel und Erde ist fliessend. Alles ist schwarz, überall Nacht. 

Unter uns im dunklen Strom des Flusses, den wir immerzu kreuzen, spiegeln sich die Lichter der Dörfer. Die Sterne funkeln unter, vor und über uns. Es wirkt, als brausten wir über den Sternenhimmel hinweg.

Von Staub zu Spritz

Irgendwann verschlechtert sich die feine Straße zur üblichen staubigen Buckelpiste. An einer kniffligen Stelle durchqueren wir den Fluss. In der Dunkelheit ist die Tiefe schlecht auszumachen, mit Herzklopfen gelangen wir sicher auf die andere Seite.

In einem Kaff am Ende der Welt ereignet sich die nächste Panne. Ein Kollege hat einen platten Reifen. Wir warten in dem spärlich beleuchteten Dorf, dass er sein Motorrad repariert. Endlich ist er fertig, doch dann muss nachts um halb elf unbedingt noch einmal angehalten werden – die Kollegen brauchen doch ihren Reis. In der Ecke eines kläglichen Imbisses an der Strasse liegt ein kleiner Junge, nur mit einem Hemdchen bekleidet, schlafend auf einer abgewetzten Decke. Sein nackter Po wirkt schutzlos in dem kalten Neonlicht.

Nachts durch den Himalaya

Die letzte Strecke bis zu unserem Tagesziel Halesi schlängelt sich aufreizend steil bergauf. Bald haben wir mehr als 220 Kilometer geschafft. Die Fahrbahn ist stellenweise sandig oder von unzähligen Schlaglöchern zerklüftet. Wir blicken hinab in das Sternental. Mal links, mal rechts lauert der Abgrund. Keine Leitplanken.

KTM-Helasi_nachts_schatten
KTM-Helasi_nachts_fahrbahn
KTM-Helasi_nachts_fluss
KTM-Helasi_Nachts

Friedliche Koexistenz der Religionen

Am nächsten Tag stehen wir früh auf, um noch vor dem Frühstück den wichtigsten Tempel der Region zu besichtigen: der Halesi Tempel gilt als „Pashupatinath des Ostens“ und ist eine heilige Stätte des Hinduismus. Schön zu sehen, wie hier Hinduismus und Buddhismus friedlich nebeneinander existieren. Links Hindus, rechts ein buddhistisches Kloster, alles easy. Hinter der Tempelanlage befindet sich eine riesige Höhle. Darin soll sich Shiva einst vor bösen Dämonen versteckt haben. Man steigt eine steile Treppe hinab und in einem dunklen Gewölbe viele, viele Stufen empor. In der Dunkelheit quietscht und flattert es, wir erahnen die Anwesenheit tausender Fledermäuse.

Helasi_Hindutempel_ziegen1
Helasi_Hindutempel_ziegen2
Helasi_Buddha tempel
Helasi_Buddhas wisdom
Helasi_Cave1
Helasi_Cave2
Helasi_Cave3_inside-hindu-buddh
Helasi_Cave4_Landschaft
Helasi_Bambus

Traum von der Schweiz

Mittags gibt’s wie immer: Dal Bhat. Also ein Haufen weißer Reis mit Linsensuppe, dazu Blumenkohl und Mangold. Wenn man Glück hat, schmeckt es lecker und es gibt eine gute Chillisosse dazu.

Frauen mit zerfurchten Gesichtern tragen traditionellen Goldschmuck und einen riesigen runden Nasenring. Ich frage mich, wie sie essen können, wo das Schmuckstück sogar bis zur Oberlippe herab hängt.

Sie sind meist in leuchtendes Rot gehüllt, knielange Kleider mit hohen seitlichen Schlitzen, häufig mit Glitzerstickerei verziert, darunter Puffhosen. Und fast alle haben eine dieser langen Ketten um aus glänzenden Glasperlen, in rot oder grün. Meist legen sie auch ein Tuch vor der Brust um die Schultern, sie tragen es genau anders herum, als wir es tun.

Gebückt laufende ältere Herren tragen weite Hosen mit Flatterhemd und Weste und den nepalesischen Nationalhut auf dem Kopf, das Topi.

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Schliesslich gelangen wir nach Jiri, in „die Schweiz Nepals“, 215 Kilometer entfernt vom Ausgangspunkt. Die bewaldeten Berghänge auf 2000 Metern Höhe erinnern tatsächlich an die tiefgrüne Landschaft in Europa, zumal sie dem Himalaya vorgelagert noch nicht von den eisbedeckten Gletschern gesäumt sind und somit einen unverstellten Blick auf die Landschaft und den strahlen blauen Himmel bieten. Statt Reis wachsen hier Pinien und Tannen, wir fahren durch dichten Wald und saugen die klare Luft tief ein.

Wunderschön blau gefiederte Vögel fliegen vorbei, ein Affe sitzt am Wegesrand. Das Knattern der Enni übertönt abertausende Zikaden, es wirkt, als kreischte der Wald vor Freude.

Wir gastieren im „Hotel Zurich View“, einem knallpinken Gebäude mit bunten Wimpeln davor, die im Wind flattern. Am nächsten Tag lassen wir die Schweiz auf uns wirken, dann müssen wir schon zurück nach Kathmandu. 

Die Mittagspause verbringen wir wieder in einem typisch nepalischen Restro mit Plastikstühlen und schrecklicher Musik. Hier gibt es das neue Trendgetränk aus Deutschland, das behauptet, das Einzig wahre Bier zu sein. Ich entscheide mich für Cola in der Glasflasche. Aber ohne Strohhalm. Ich möchte nicht noch mehr Plastik in der ohnehin zugemüllten Landschaft hinterlassen. So schön die sanft geschwungenen Berge mit dem saftigen Wald aus der Ferne auch aussehen, so wütend und traurig macht mich jeder Blick auf den Boden, wo überall Plastikmüll rumliegt und auch in den Flüssen unnormal bunte Fetzen schwimmen.

Jiri_Schweiz_zurich view
Jiri_Schweiz_zurich view front
Jiri_Schweiz_Wald
Jiri_Schweiz_Müll
Jiri_Schweiz_Haus
Jiri_Schweiz_Haus_Fahnen
Jiri_Schweiz_Haus 2

Auf dem Rückweg nehmen wir eine andere Strecke, um nicht den gleichen Weg zweimal zu fahren. Hätten wir nur gewusst, was da auf uns zukommt. Diese Strasse steht im harten Kontrast zur modernen Autobahn. Wir tuckern stundenlang einen buckeligen Feldweg hinunter, überholen dabei lokale Reisebusse und tonnenschwere Lastwagen, die eine schier undurchdringliche dicke Staubwolke hinterlassen. Schade, dass es hier keine ordentliche Strasse gibt. Die Logik dahinter: Keine Touristen, keine Strasse. 

Jiri-KTM_Frühstück
Jiri-KTM_Dal Bhat
Jiri-KTM_Fahrbahn_Fussgänger
Jiri-KTM_Fahrbahn_Geröll
Jiri-KTM_Frauen
Jiri-KTM_Landschaft_Entfernung
Jiri-KTM_Schweiz_Rückweg

Mit Staub im Gesicht, aber die Schweiz im Herzen, erreichen wir am Abend das übliche Verkehrschaos Kathmandus und haben tatsächlich 222 Kilometer geschafft. 

Strassenschild ktm 148
strassenschild nepali
Strecke_Rückweg
Strecke
KTM

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