„Bea, wo ist mein goldenes Haarband?“, quengelte Prinzessin Georgia, die siebte und jüngste Tochter von König Juan II. Sie war sein Nesthäkchen, dreizehn Jahre jünger als die vorletzte Tochter Elena, achtzehn Jahre jünger als Thronfolger Carlos, sein Ältester. „Bea, mach mir doch endlich mein Kleid zu, der Ball beginnt schon in drei Stunden“, nervte Prinzessin Georgia weiter. Bea, ihre tüchtige Dienerin, rollte heimlich mit den Augen und steckte das gewünschte Haarband auf den prächtigen goldenen Locken der Infantin fest, um sich umgehend ihrem ebenso goldenen Brokatgewand zu widmen. „Autsch, Bea, du dummes Ding, schnür doch nicht so fest“, meckerte Prinzessin Georgia. Bea stammelte eine Entschuldigung und lockerte die goldenen Bänder auf ein erträgliches Maß. 

Heute Abend sollte der Ball des Jahres, der Ball aller Bälle stattfinden. Der überreife Thronfolger Carlos würde seine Verlobte Margarita von Andalusien ehelichen. Daraufhin fieberte das ganze Land, ach was, die ganze Welt, und Prinzessin Georgia wollte nichts dem Zufall überlassen. 

Prinzessin Georgia hatte in einem aufwendigen Verfahren ihre dunklen Locken golden färben lassen. Sie hatte feinsten Goldstaub für die Arme beschaffen lassen und goldene Sandalen bestellt. Ein lebendes Goldstück wollte sie sein, damit alle von ihrem Glanz geblendet würden. Auch wenn dies nicht exakt so abgesprochen war mit ihren königlichen Eltern, die es lieber sahen, wenn die Aufmerksamkeit auf ihrem Sohn und Thronfolger und dessen zukünftiger Gattin lag. Doch eine Prinzessin muss tun was eine Prinzessin tun muss, dachte sich Prinzessin Georgia und hatte seit Wochen keine Kosten und Mühen gescheut, um an diesem Tage besonders strahlend auszusehen. 

Sie hatte ihrer nichtsnutzigen Dienerin den schönsten goldenen Stoff hingelegt, damit diese das schönste goldene Kleid nähte. Sie hatte extra drei Wochen Diät gehalten, damit das Kleid wie angegossen saß. Sie hatte ihre Reit- und Fechtübungen eingestellt und überprüfte täglich ihre Haut auf Unreinheiten. Sie hatte sich in der Küche darüber informiert, was es zu Essen geben würde. Auch wenn sie nicht wirklich befugt war, hatte sie doch Anweisung gegeben, nur helle Speisen und Weißwein auftragen zu lassen, damit kein Makel ihre königliche Erscheinung trüben könnte. Zugegeben, als ihr Vater dies erfuhr, war er nicht königlich amüsiert gewesen, er hatte ihr jedoch durchgehen lassen, dass zumindest an ihrem Tisch ihre Anordnungen befolgt würden. 

Damit das Volk sich darüber klar wurde, dass die künftige Thronfolgergattin keine so reine Weste trug wie sie, die kleine Infantin, die unschuldigste Prinzessin im ganzen Land, hatte sie kleine Indiskretionen streuen lassen und Briefe Margaritas abgefangen. „Ich vergehe vor Sehnsucht, hahaha“, gab sie laut lachend ihren Stoffpuppen den Inhalt wieder, den sie inzwischen auswendig konnte. „Ich kann es nicht abwarten, mich dir hin-zu-ge-ben“, äffte Georgia den säuselnden Ton nach. Die Puppen ließen sich zu keiner Äußerung hinreißen. Wirklich schamlos, was diese Königin in spe in ihren Briefen schreibt, hatte sich Georgia gedacht und eine Kopie in den Briefkasten der lokalen Presse gesteckt. Als die Briefe veröffentlicht wurden, war das ganze Land in Aufruhr. Die Eltern sprachen endlich über anderes, als immer nur Lobgesänge auf Margarita von Andalusien anzuheben. 

Alle, alle waren sich einig darin, dass Prinzessin Georgia das vorzüglichste kleine, reine Wesen im ganzen Land war. Ach, wäre sie doch nur ein paar Jahre früher geboren, dann hätte sie Thronfolgerin werden können. Vielleicht geschah ja auch ein Unglück und die Hochzeit kam gar nicht zustande? Während sie sich das Kleid glatt strich überlegte sie, wie stark sich wohl die Erdbeerallergie auswirken mochte, von der Margarita einmal gesprochen hatte. 

Prinzessin Georgia freute sich schon auf ihre nächste Aufgabe. Aber zuerst wollte sie das goldene Kleid vorführen und sich für die Ewigkeit darin präsentieren. „Bea, nun mach schon, der Hoffotograf wartet auf mich!“