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Abenteuer, Höhenkrankheit, Helikopter, Mantra, Mount Everest, Trekking
Ich hielt ihn schon oft in den Händen, hatte ihn aber noch nie mit eigenen Augen gesehen: den Mount Everest. Abgebildet auf jedem Geldschein in Nepal, kannte ich seine Form genau. Wie er wohl in Wirklichkeit aussehen mochte?
Wenn man schon mit dem höchsten Berg der Welt in einem Land lebt, kann man ihn ja auch mal anschauen. Also machten wir uns auf den Weg zum legendären Mount Everest Trek nach Solukhumbu.
Nervenkitzel am gefährlichsten Flughafen der Welt
Der schnellste Weg dorthin ist ein Flug mit einer Propellermaschine von Kathmandu ins rund 140 Kilometer entfernte Lukla. Dort landet man mit etwas Glück heil auf einem der gefährlichsten Flughäfen der Welt. Weil sich die Wetterverhältnisse in den Bergen blitzschnell ändern können, ist die Ankunft längst nicht gewiss. Und so mussten auch wir unser Abenteuer um einen Tag verschieben, nachdem der Flug wegen schlechten Wetters nach acht Stunden Wartezeit gestrichen wurde.
Am nächsten Tag ging alles gut und nach nur 25 Minuten Flugzeit landeten wir auf der kürzesten Start- und Landebahn, die ich jemals gesehen habe: nur 500 Meter lang ist die Piste, die an der einen Seite von einer Schlucht, an der anderen von einer Felswand begrenzt wird. Und dann ist man auch schon mitten im Himalaya auf 2.840 Metern. Kaum ausgestiegen, vollführten wir erst mal einen Freudentanz mit Tränen in den Augen: die erste Hürde überlebt!
Nun lagen rund 130 Kilometer Fußmarsch und über 2.000 Höhenmeter vor uns. Ich hatte keine Vorstellung davon, wie wir diese Aufgabe bewältigen würden. Also machten wir uns einfach auf den Weg. Wir, das waren unser Guide Om, der aus der Gegend stammt und die Strecke in- und auswendig kennt, unser ungarischer Freund und Sportskanone Istvan, seine Schulfreundin Anita, die extra aus Budapest angereist kam und natürlich der Liebste und ich.
Zunächst ging es von Lukla dreieinhalb Stunden rund 200 Meter abwärts nach Phakding, wo wir eine Mittagspause einlegten: Ingwertee als Fitnessgetränk und Knoblauchsuppe zur Vorbeugung gegen Kopfschmerzen. Nach der Stärkung latschten wir drei Stunden und über 200 Meter aufwärts nach Monjo. Am nächsten Tag hieß unser Etappenziel Namche Bazaar, das auf 3.440 Metern liegt und uns zwei Tage zur Höhenakklimatisation beherbergen sollte.
Mount Everest mit eigenen Augen sehen
Auf dem Weg nach Namche begegneten uns glöckchenverzierte Pferdchen, bunte Vögel und Schmetterlinge, und vollbeladenene Yaks, die zähen Lasttiere. Nach der Überquerung einer schlingernden Seilbrücke über einen rauschenden Gebirgsfluss drehten wir uns um und wer stand da? Der Mount Everest! Weiß leuchtend vor märchenblauem Hintergrund, schimmerte der bekannte Buckel wie aus dem Bilderbuch, aber mit eigenen Augen betrachtet einfach phänomenal.
Akklimatisation
Nach dem steilen Aufstieg freute ich mich schon auf die Akklimatisationstage in Namche. Doch Akklimatisation bedeutete nicht, wie ich dachte, dass man zwei Tage auf der faulen Haut liegt, sondern weiter nach oben marschiert und dann wieder runter, um den Körper an die Höhe und damit verbunden weniger Sauerstoff in der Luft zu gewöhnen. Also stiegen wir 440 Meter auf, um bei 3.880 Metern im höchsten Hotel der Welt Rast zu machen.
Auf dem Weg nach oben spürte ich das erste Mal die Auswirkungen der knappen Sauerstoffzufuhr auf meinen Körper: So laaaangsaaaam hatte ich mich noch nie bewegt. Wie in Zeitlupe setzte ich einen Schritt nach den anderen, Stufe für Stufe, in einem mir unbekannten, schneckenhaften Tempo. Ein wenig surreal, wenn man sich plötzlich nicht mehr wie gewohnt fortbewegen kann.
Nach gut zwei Stunden oben angekommen, hatten wir einen grandiosen Ausblick auf den Mount Everest (8.848 m) mit seinen kleinen Brüdern Lhotse (8.516 m), Nuptse (7.861 m) und Ama Dablam (6.814 m).
So ging es dann in den nächsten Tagen: Aufstieg, Pause, weiterer Aufstieg, zurückgehen, um den Körper an die Höhe zu gewöhnen. Wir durchquerten Täler, hangelten uns an mit Gebetsfahnen geschmückten Seilbrücken entlang, stolperten über Felsen und umrundeten im Uhrzeigersinn kleine Chörten (Stupas).
Wir standen früh auf, um das gute Wetter auszukosten, denn hier oben gilt die Daumenregel: vormittags scheint die Sonne, ab Mittag ziehen Wolken auf und nachmittags verstecken sich die Berge. Und wir hatten jeden Tag Glück und konnten den Everest und die umgebenden Gipfel aus verschiedenen Blickwinkeln bewundern.
Je weiter wir kamen, desto höher stiegen auch die Preise, denn alles wird von Lastenträgern, Yaks oder, ganz exklusiv, mit Helikoptern von Lukla aus nach oben befördert. Es gibt nur bucklige Geröllwege nach oben. Om erzählte, dass manche Einheimische gar nicht wüssten, wie Autos aussehen. Sie kennen nur den Flugverkehr in Lukla.
Am fünften Tag ruhten wir uns gerade in einem kleinen Dorf auf 4.000 Metern aus, als ein kleiner Yak Bulle um die Ecke geschossen kam, meinen roten Rucksack mit seinen Hörnern packte, wild umherbockte, die Beute abschüttelte und wieder davon raste. Das alles geschah in wenigen Sekunden und ehe ich realisierte, was er da in die Mangel nahm, war er schon wieder verschwunden. Lektion daraus: auch kleine Yakse reagieren auf Rot! Von da an versteckte ich meinen Rucksack unter der gelben Regenhülle. Wie ich erfahren habe, reagieren auch Tiger auf rot. Aber die gab es in der Gegend nicht, sonst hätte ich es darauf ankommen lassen 🙂
Mantra für den Weg zur Erleuchtung
Den Everest fest im Blick, stapften wir jeden Tag immer weiter und höher. Als wir in Dughla auf 4.620 Metern ankamen, standen wir vor der bisher größten Herausforderung: den Thokla Pass bewältigen, über 200 Meter steil nach oben. Die Gegend war bereits unwirtlich: uns umgaben nur noch Steine und Geröll, durchbrochen von einem schäumenden Fluss, über den eine wacklige Holzbrücke führte. Hier oben lernte ich die wichtigste Lektion: nicht nach oben schauen! Also konzentrierte ich mich nur auf den nächsten Meter vor mir, bewegte mich ganz langsam, in kleinen Schritten. Es war verdammt anstrengend und ich fragte mich, was zum Teufel ich hier oben wollte? Einmal blickte ich doch nach oben und hätte am liebsten angefangen zu heulen. Wie sollte ich diesen verdammten Pass schaffen? Da besann ich mich des allgegenwärtigen Mantras: Om mani padme hum. Es ist das Mantra des tibetischen Buddhismus für den Weg zur Erleuchtung, erklärte mir Om. Überall auf dem Weg fand ich es in Steine gehauen, auf Gebetstafeln und an Wände gemalt. Ich ersann mir meine eigene Melodie und sang es leise vor mich hin. Und siehe da: es half! Das Mantra trug mich nach oben. Eineinhalb Stunden brauchte ich für den Aufstieg. Überwältigt von meinen Gefühlen, brach ich oben angekommen vor Freude und Erleichterung, aber auch vor Anstrengung in Tränen aus. Als ich mich wieder gesammelt hatte, blickte ich mich um. Dort oben am Thokla-Pass erinnern zahlreiche Gedenksteine an die am Mount Everest tödlich verunglückten Bergsteiger.
Nach dem Pass veränderte sich die Landschaft wieder. Nun waren wir im Hochgebirge angelangt. So eine karge Umgebung hatte ich noch nie gesehen. Staubige Schotterwege, flechtenüberwachsenes Geröll, keine Bäume mehr. Wie auf dem Mond. Schließlich kamen wir in Lobuche an, auf 4.910 Metern. Am Nachmittag unternahmen wir dann einen leichten Nachmittagsspaziergang auf 5.000 Metern. Es fühlte sich kaum anders an als sonst. Nur meine verlangsamten Bewegungen erinnerten mich daran, dass ich gerade so hoch oben war wie nie zuvor. Eiskalt und windig war es dort. Unter uns lag ein Gletscher, der zum Everest Basecamp führte. Dahinter der mächtige Mount Everest und die anderen Acht- und Siebentausender. Wie winzig klein und unwichtig wir Menschen doch sind im Angesicht dieser Giganten!
Am nächsten Tag kam das böse Erwachen: die Hälfte der Gruppe litt an Höhenkrankheit mit Kopfschmerzen, Schwindel und Übelkeit. Also entschlossen wir uns zum wirksamsten Mittel: Abstieg, Abstieg, Abstieg. Die Gruppe trennte sich und Istvan, die Locals nennen ihn Schneeleopard, lief weiter und erklomm allein den Kalar Pattar (5.675 m) mit unmittelbarer Aussicht auf den Mount Everest und im Anschluss das Everest Base Camp.
Der Rest wanderte zurück. Beim Abstieg fiel mir erst auf wie unglaublich weit oben wir waren und welche Strecke wir zurückgelegt hatten.
Nach einem Tagesmarsch erreichten wir Periche, das auf sicheren 4.240 Metern liegt und eine Krankenstation für Höhenkranke hat. Dort gab es Sauerstoff und Tabletten gegen Höhenkrankheit. Hier fand dann auch die Gruppe wieder zusammen und wir wanderten die nächsten Tage zurück nach Lukla. Von da an änderte sich das Wetter und die dichten Wolken versperrten die Sicht auf den Everest, was uns frohlocken ließ über unser bisheriges Glück. Auch bemerkten wir, dass wir gerade rechtzeitig vor dem großen Touristenansturm losgelaufen waren, denn nun kamen uns ganze Reisegruppen entgegen. Diese benötigten sichtbar mehr Verpflegung, weshalb auch deutlich mehr Yaks unterwegs waren, die ihre stinkenden Hinterlassenschaften auf den jetzt glitschigen Pfaden hinterließen.
Im Helikopter über dem Himalaya
Schließlich kamen wir einen Tag früher als geplant in Lukla an und wollten gleich einen Rückflug nach Kathmandu nehmen. Leider verpassten wir den letzten Flieger ganz knapp, weil das Wetter umschlug und keine weitere Flüge an dem Tag mehr starten würden. Wir waren deprimiert und wollten nur noch nach Hause. Ich konnte keine stinkenden Socken, keine verschwitzen Klamotten und schon gar keine Knoblauchsuppe mehr ertragen. Mir war kalt und ich hatte die Nase voll von den äußerst schlichten Unterkünften. Ich sehnte mich nach einer heißen Dusche! Mir graute vor dem Gedanken an geschmacklose Nudeln, versalzenes Omelett oder faden Reis. All das wollte ich jetzt nicht mehr.
Und dann geschah ein kleines Wunder: irgendwie hatte Om es geschafft, seine Kontakte spielen zu lassen und plötzlich saßen wir im Helikopter auf dem Rückflug nach Kathmandu. Von dort oben betrachteten wir die unglaubliche Weite des Himalaya und ich war schon wieder am Heulen: dieser Trek war wohl das größte Abenteuer meines Lebens 🙂