Nervenkitzel Zugfahrt
Noch bevor der Zug zum Stehen kam drängelten die Leute gefährlich nah an die Bahnsteigkante.
Wo die ersten Passagiere aus dem einrollenden Zug hüpften, sprangen andere bereits auf, um einen Sitzplatz zu ergattern. Sie warfen eine Tasche oder Klamotte durch das Fenster auf einen Sitz, um den Platz zu reservieren.
Die Passagiere drängten nach innen oder hängten sich außen an den Türen fest. Sobald er stoppte, wurden wir von der Masse in den Zug hineingesogen.
Die ersten Sekunden lang ließen wir noch den vor uns Stehenden den Vortritt, bemerkten aber schnell, dass Höflichkeit hier fehl am Platze war. Also schoben wir uns mit unseren riesigen Rucksäcken ebenso hartnäckig und ohne Rücksicht auf Verluste voran, pressten uns mitten hinein in die schwitzende Menge aus Männern und Frauen, Kindern und Nam Verkäufern, und schafften es alle Viere in den Zug. An einen Sitzplatz war nicht zu denken. In der ersten halben Stunde konnte ich noch nicht einmal meinen Backpacker Rucksack abnehmen, so voll war der Waggon.
Nach einer Weile, als sich alle eingerichtet und einander zugelächelt hatten, gelang es mir, den Rucksack abzunehmen und in einem Gepäckregal neben mir zu verstauen, welches mir dann auch als Stehplatz diente – immerhin konnte ich so abwechselnd das eine oder andere Bein darin locker lassen, so dass ich über mehr Beinfreiheit verfügte als meine Mitreisenden. Abwechselnd mal mit der linken, mal mit der anderen Hand hielt ich mich an den Griffen über mir fest, um einigermaßen das Gleichgewicht im wild ruckelnden Zug zu behalten.
Der Liebste quoll eingequetscht aus dem Gedränge hervor, seine schiere Größe ließ ihn den anderen wohl als Baum erscheinen. Und so hängte sich eine alte Frau an seinen Ellbogen, erschöpfte Männer lehnten an seinem Rücken und dösten im Fahrtwind. Ein lang verlorenes Geräusch erfüllte die Luft. Da-damm da-damm, da-damm da-damm, knatterte der Zug über die alten Gleise.
Ich betrachtete die flache Küste mit dem aquamarinblauen Meer und seelenruhig strahlendem Himmel darüber, weit wie die Welt.
Auf dieser Stecke ereignete sich das mit mehr als 1.500 Toten schlimmste Eisenbahnunglück in der Geschichte der Menschheit, wie mein kompakter Reiseführer verriet. Hier geschah nicht nur die schlimmste Bahnkatastrophe des Landes – vielmehr eine erschütternde Naturkatastrophe, der Tsunami 2004.
Hier stockte der Morgenzug Nr. 50 von Colombo nach Matara und wurde von einer 10 Meter hohen Flutwelle gepackt. In ihrer Verzweiflung retteten sich die Überlebenden auf das vermeintlich sichere Dach und wurden dann mit voller Wucht von der dritten und letzten und höchsten Tsunamiwelle emporgeschleudert und eingesogen, nur um danach wieder ausgespuckt und zurück geworfen zu werden.
Die Urgewalt der lebendigen Verwüstung riss die Gleise heraus, saugte ganze Bäume, Dreck und Schrott und Menschenleiber auf und wirbelte sie herum wie ein erzürnter Gott.
Am nächsten Tag glitzerte das Meer wieder ruhig als sei nichts geschehen.
Überraschend schnell erholte sich das Land dank der rasch wieder zurückkehrenden Touristen von dem Schock. Aber das Entsetzen sitzt tief und es gibt zahlreiche Mahnmale.
Unvorstellbar, wie weit die Schwingungen des Erdbebens zu spüren gewesen waren, wie unfassbar weit sich die Flutwelle ausgebreitet hatte. Sri Lanka ist fast Zweitausend Kilometer von Banda Aceh in Indonesien, das am stärksten heimgesucht wurde, entfernt. Und das Zugunglück geschah im Südwesten, also auf der gegenüberliegenden Seite des Indischen Ozeans. Eine unglaubliche Kraft, die unseren Planeten umgibt. Wasser. Wo Wasser doch sonst für das Leben steht. Hier verursachte es Tod und Zerstörung.
Abgesehen von diesem schrecklichen Ereignis ist Sri Lanka stolz auf seine Bahngeschichte. Vor 150 Jahren schnaufte die erste Dampflok von der Hauptstadt Colombo in das rund 50 km entfernte Ambepussa. Seither wuchs das Bahnnetz Sri Lankas auf 1.500 Bahnkilometer an. Inzwischen kurven die Züge als Dieseltriebwagen durch die Gegend, ansonsten hat sich an dem alten Verkehrsmittel nicht viel geändert. So rumpeln und rattern die rostroten, pfeilgeraden Züge noch heute gemächlich durch das Land und quälen sich im Hochland die steilen Trassen hinauf. Wir aber fuhren 115 km hinunter in den Süden, um nach Galle, der viertgrößten Stadt Sri Lankas, zu gelangen.
In zweieinhalb Stunden Schunkeln und Schaukeln, hin und her wiegen, im rhythmischen Geklapper der darunter liegenden Gleise gaben wir uns der langen Fahrt hin, dann spuckte uns der Zug in Galle aus.
Nach einem geschmeidigen Ankommen in Colombo mit den Freunden aus Nepal in einem wunderbaren Apartment wollten wir zu den Stränden der Südküste, um die malerischen Buchten zum Entspannen aufzusuchen. Zunächst aber stand Kultur auf dem Programm.
Kultur in Galle
Wir landeten in einem dreihundert Jahre alten Privathaus, wo wir die ersten Gäste eines neuen Homestay in Galle waren, viereinhalb Kilometer vom Bahnhof entfernt hinein in den Dschungel.
Das Haus strahlte freundlich weiß, mit einer hellblau gestrichenen hölzernen Veranda davor. Im Inneren fanden sich grazile Mahagonimöbel, massive Holztruhen und erlesene goldene Traditionsstücke.
Am Morgen wurden wir von wilden Tieren und Vogelgesang geweckt. Zauberhafte Vögel raschelten in den Blättern, Palmhörnchen versteckten sich hinter den Zweigen und Affen durchstoben die hohen Palmenwedel.
An unserem letzten Abend kredenzte uns die Hausherrin ein köstliches srilankisches Abendmahl: Rice&Curry. Reis vom hauseigenen Reisfeld, Saucen aus Kürbis, Bananenblüten, Jackfrucht, Auberginen und roten Linsen aus dem Garten, schön scharf und würzig zubereitet. Die Singhalesen ernähren sich überwiegend vegetarisch, so auch unsere Gastfamilie. Ab da bestellte ich mir meistens Rice&Curry. Die neue Spezialität, mitsamt deren Sambol. Diese scharfe Chilisauce bestand aus hauchfein geschnittenen, kleinen roten Zwiebeln, getrockneten, pulverisierten Chilis und Zitrone. Sehr fein. Wie ich später dazu gelernt habe, gibt es das auch mit frischer Kokosnuss, dünn geraspelt.
Die Altstadt von Galle und insbesondere der alte Leuchtturm machten den besonderen Reiz der Stadt aus. Hier erhob sich einst der erste Leuchtturm Asiens, der aber im Zweiten Weltkrieg zerbombt wurde. Der Ort diente früher auch als Startpunkt für Brieftauben, die besonders eilige Post aus Europa aufnahmen und in nur 45 Minuten nach Colombo flatterten.
Reif für die Insel
Nach Galle waren wir dann reif für die Insel: endlich nur noch erholen! Wir alle brauchten so dringend Ruhe und Frieden. Quality time mit guten Freunden.
Eine Woche lang erkundeten wir den tiefen Süden mit seinen einsamen Palmenstränden, die wir so vermisst hatten. Rubinrote Sonnenuntergänge, die dem dauerknipsenden Pascal seinen neuen Spitznamen Uncle Sunset einbrachten, kristallklares Meer, köstliches Sea Food, erstaunlich gutes einheimisches Bier und gute Gespräche und Lektüre. Wunderbar.
Must-see: Safari
Nach ausreichend Sonne und Meer und der besten Silvester-Strandparty aller Zeiten wollten wir wieder was erleben und begaben uns nach Yala zur Safari.
Gesagt, getan. Alles blitzschnell organisiert, Tangalle am Morgen verlassen und schon am Nachmittag knatterten wir mit einem Safarijeep durch den Yala Nationalpark.
Wir waren ja von Afrika verwöhnt und hatten in Kenia die Big Five gesehen. Daher gaben wir uns ganz bescheiden und hegten keinerlei Ansprüche. Wobei, ich muss gestehen, ich hoffte ja klammheimlich, einem Leoparden zu begegnen. Immerhin hat Sri Lanka in den Nationalparks eine dichte Population aufzuweisen, da sollte doch einer für uns dabei sein.
Wir drangen tief ein in einen freigegebenen Bereich des Parks. Safaris sind wohlweislich zum Schutz der Tiere nur in einem bestimmten Gebiet erlaubt. Alles andere dient als Rückzugsort und Freiraum.
So erfreuten wir uns an farbenprächtigen Vögeln, leuchtenden Pfauen, wovon ein besonders elegantes Männchen sogar sein Rad präsentierte, bestaunten Pelikane und Störche. Wir trafen auf Wasserbüffel, regungslose Krokodile, die im seichten Tümpel auf Beute lauerten, in sicherer Entfernung weidendes, graziles Wild (Sambar- und Axis- Hirsche), Mungos, die ungeschlagenen Bezwinger der Schlangen, und massige Elefanten.
Gegen Ende der Tour, als wir uns fast satt gesehen hatten an der aufregenden Flora und Fauna, eingerahmt vom aufblitzenden Meer im Hintergrund, schnatterte unser Fahrer mit einem Mal aufgeregt am Telefon. Er latschte auf das Gaspedal und schoss mit uns die rote Piste entlang. Er hatte ein Signal empfangen, da war etwas ganz besonderes. Wir sausten an riesenhaften urtümlichen Bäumen entlang hinein in das Herz der Wildnis.
Dann kündete eine Reihe parkender Safarijeeps davon, dass wir angelangt waren. Der Fahrer steuerte geschickt auf eine Lichtung zu. Da war ein Sandhügel. Darauf bewegte sich etwas.
Eine vertraute, regelmäßige Bewegung: der Leopard leckte sich die Tatze. Dann schleckte er sich mit der Zunge über das Gesicht und wandte sich demonstrativ ab. Ungeachtet seines Desinteresses betrachtete ich durch das Fernglas jeden einzelnen Tupfen, seine weißen Schnurrhaare, seine leuchtend gelben Augen, sein seidig schimmerndes Fell, seine beeindruckende Schönheit.
Er ließ sich von dem Tumult um seine Anwesenheit nicht stören. Die aufgeregten kleinen Menschlein rissen sich darum, einen Blick auf ihn werfen zu dürfen. Ihn in seiner Wildbahn, in seinem einigermaßen authentischen Lebensraum zu betrachten: der Sri-Lanka-Leopard (sie nennen ihn kotiyā) ist nur hier auf der Insel zu finden.
Wir stellten uns die Frage, ob wir ein Teil der Lösung oder des Problems waren. Wir tippten auf Lösung. Immerhin sorgen die Eintrittsgelder für den Park dafür, dass sein Leben geschützt wird. Früher wäre er als Trophäe gejagt worden.
Es ist schon bizarr: erst knallt der Mensch diese Kreatur ab, später rauft er sich darum, sie mit der Kamera zu schießen und daheim seinen Lieben als Schnappschuss zu präsentieren. Aber immerhin bleibt so eine große Population seiner Artgenossen erhalten.
Tempel
Wir haben uns tatsächlich nur einen Tempel angeschaut, aber dieser war natürlich ganz besonders! Dort gab es sogar eine Hölle. Und ich habe erfahren, dass Buddha einst auch als Löwe wieder geboren war.
Teeplantagen: Lipton’s Seat
Auf 2.000 Meter Höhe – nicht gewandert, dafür mit einem sehr bequemen, italienischen Tuk-Tuk hochgeschnauft, erlebten wir eine völlig andere Klimazone. Tagsüber war es kühl, die Luft schön klar und nachts bibberten wir vor Kälte.
Dort oben haben wir den Teepflückerinnen bei der Arbeit zugeschaut und deren routinierte Bewegungen bewundert. In respektvollem Abstand lächelten wir einander zu. Ich hatte schon vorher bemerkt, dass die Teeplantagen ganz akkurat geschnitten waren. Hier habe ich erfahren, warum. Sie arbeiten im Stehen, auf Hüfthöhe schneiden sie die frischen, grünen Blätter mit einer Art Handschaufelschere. Mit jedem Schnitt landen die Blätter seitlich auf den breiten Kufen, die gerade geformt wie eine Handschaufel die Ernte sammeln. Wenn links und rechts genügend Blätter darauf sind, wirft die Frau den Inhalt der Schaufel mit einer geübten Geste nach hinten in ihren Ernterucksack. Am Ende des Tages werden die vollen Säcke abgewogen und der aktuelle Tarif ausgezahlt. Die Arbeit erscheint mühsam, doch in dieser Plantage gab es auch social welfare, mit Krankenstation und Kindergarten. Mir fiel sogar eine Hebammen Station auf.
Ganz oben erwarteten wir eine grandiose Aussicht bis zum Meer hinunter. Der Blick fiel dann nicht ganz so spektakulär aus, da es sich am Nachmittag relativ schnell zu zog. Es war aber immerhin noch weit genug, um zu erahnen, warum der gute Mann regelmäßig hier hoch gewandert war. An seinem Stammplatz sitzt tatsächlich eine Bronzefigur aus Pappmaché. Sir Lipton, dem allerdings seine Teetasse abhanden gekommen war. Natürlich haben wir dort oben Lipton Tee getrunken. Ansonsten trinke ich den nie.
Der aromatische Duft des frischen Tees in Sri Lanka, Ceylon Tee, stieg mir in die Nase, auch unten im Tal. Wir alle kennen ihn. Noch nie hatte ich ihn so eindrücklich in meiner Umgebung vernommen. Der ganze Ort war erfüllt davon.
Stadt der Edelsteine
Nach dem Abenteuer im Hochland zog es uns wieder zurück an den Strand. Wir machten uns auf zur letzten Station vor unserem Abflug, nach Negombo. Diesmal gönnten wir uns einen Fahrer mit Minibus. Ich hatte ja eigentlich vor, Ratnapura, die Stadt der Edelsteine, zu besichtigen, doch den Plan hatten wir als zu umständlich verworfen. Nach einiger Zeit machte unser Fahrer in einem Ort eine zufällige Pause. Der Liebste wollte Kaffee. Welch Koinzidenz: wir standen mitten in Ratnapura. So landeten wir im Gems Museum und kamen als Saphirjäger wieder heraus.
Ayurweda
Im Spice Garden in Koggala wurden wir zu Ayurweda Anhängern. Hochwirksame Kräuter- und Pflanzenextrakte, Öle und Salben, für jegliche Beschwerden ein Mittelchen: beruhigendes Aloe Vera für die sonnenstrapazierte Haut, wohlriechendes Sandelholz zur Behandlung von Hautunreinheiten oder eine komplexe Mischung aus Jojoba, wilden Zwiebeln und Knoblauch und anderen Substanzen zur Haarentfernung. Rein und wertvoll und verblüffend heilsam.
Am letzten Tag gönnten wir uns alle eine komplette Ayurveda Behandlung. Vor der Behandlung wird erst einmal der Puls und Blutdruck gemessen, das Alter erfragt und in die Augen gesehen. Ein Lächeln hilft immer.
Vor der Massage fragte mich die noch unerfahrene Shaman, ob ich Christin sei und zeigte mir ihr juwelenbesetztes Kreuz am Hals. Dann balsamierte sie mich ein mit lauwarmem Öl und begann sachte mit der Massage. Zwischendurch erkundigte sie sich bei der umherschwirrenden Leiterin des Instituts, Doc, ob sie es richtig mache. Doc war ganz eindeutig der Boss. Das fand ich gut. Anfangs eher eine Streichelmassage, traute sich Shaman langsam spürbar mehr zu. So intim, und doch so respektvoll wurde ich noch nie von einer Fremden angefasst.
Im Anschluss ging es zum Steam Bath, das Dampfbad war bereit. Wie in einem Holzsarkophag lagen Blätter eines Akazienbaums darin. Im Inneren sammelte sich der Dampf, vermischte sich mit den Blattausdünstungen und drang dann in meine Haut ein.
Danach gab es belebenden Spice Tea und dann die letzte Prozedur, der Stirnölguss (Shirodhara). Dabei tröpfelte Shaman in regelmäßigen Ergüssen gut einen Liter erwärmtes Kokosöl über meine Stirn. Zuweilen ließ sie es auch in sanften Wellen über mein Haupt gleiten. Genauso regelmäßig zog sie heimlich ihre Nase hoch. Aus Respekt putzte sie sich nicht die Nase. Durch ihr leichtes Schnüffeln wusste ich immer, wo sie sich bei mir oder im Raum aufhielt.
Kontrastprogramm
Nach einem letzten Abendmahl war unser Familienurlaub mit den Freunden auch schon vorüber und wir saßen im Flieger gen Europa.
Auf unserem Zwischenstopp in Doha hatten wir fünf Stunden bis zum nächsten Flug. Die Zeit wollten wir genießen und checkten uns im Spa ein. Dort spendierte mir der Liebste eine Bali Massage. Herrlich kraftvoll und auflockernd, knetete mich die Masseurin zurecht. Verspannungen weggeschoben, aufgelöst, glatt gestreichelt. Danach fühlte ich mich frisch und belebt für die Heimreise.
In Berlin erwartete uns schönstes Winterwetter. Wir waren bestens vorbereitet. Von Cri&Pascal hatten wir wunderbar geschmeidige Kaschmirschals aus Nepal zum Geburtstag bekommen. Diese wärmten ganz vorzüglich. Außerdem hatten wir natürlich warme Sachen an und griffbereit ganz oben im Rucksack verstaut.
Der Kontrast könnte nicht schärfer sein. Die gute Laune hält weiterhin an. Ich bin sehr gut im neuen Jahr und hier in Berlin angekommen.
Happy new year, allerseits! 🙂
Pingback: Farbenmeer in der Wüste | reisen & bleiben
Pingback: Ocean of Colours in the Desert | Nias Base Kathmandu