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Eigentlich hätten wir beleidigt – oder treffender: angepisst – sein müssen. Der Regenradar hatte eigentlich angezeigt, dass der Regen sich verpissen würde. Die Optimistinnen waren zuversichtlich, beide sahen Licht am Horizont. Unverändert regnete es weiter – oder nein, wandelte sich der Platzregen nicht gerade in Sprühregen?
Auftritt Eichhörnchen: „Achtung Achtung, die Mundräuber sind wieder da“, schien es eilig seinen Kollegen in den umstehenden Bäumen und Sträuchern zuzurufen. Mit einem Satz sprang es flink einen halben Meter den Stamm der vor uns stehenden Ulme empor, machte einen Ausfallschritt und flitzte in abgehackten Bewegungen weiter zum nächsten Stop. Magda und ich hielten inne. Als hätte es sich nur unserer Aufmerksamkeit vergewissern wollen, rannte es zielstrebig zur Bühne, einem kleinen Treppenaufgang, einer Empore gleich. Dort fand es seinen Schaut-mich-an-Platz und posierte wie ein Show Girl. Wir juchzten vor Wonne. Die rote Diva vollführte eine verführerische Pose á la Uma Thurman in Pulp Fiction. Gekonnt schwang sie ihre puschelige rote Stola um ihre Hüfte und deutete ein Schütteln an. Ein Tropfen war von einem Blatt auf ihr Haupt gefallen, so dass eine funkelnde Krone aus Sprühregen ihre Stirn veredelte. Es blickte uns direkt in die Augen, deutete eine verstohlene Verbeugung an und putzte sich possierlich, womit es ihr Publikum zu freudigem Jubel anstachelte.
In uns hatte es wahrlich sein Publikum gefunden. Obwohl unsere heutige Mundraub-Tour buchstäblich ins Wasser gefallen war, waren wir vermutlich die einzigen Menschen, die in diesem strömenden Regen so glücklich und frohgemut kicherten.
Nicht einmal an einem verregneten Morgen wie diesem, an dem kein einziger Kunde erschien, geschweige denn abgesagt hatte, verloren wir unsere gute Laune. Mit kaum jemand stehe ich so gern im Regen wie mit Magda. Wir fragten uns, was wir hier eigentlich taten. Es war zehn Uhr morgens an einem Samstag, der Regen hielt unvermindert an. Wir waren beide freiwillig früh aufgestanden, um scheinbar interessierten Städtern, die heute lieber im Bett liegen blieben, vergessene Obstbäume zu zeigen. Und wofür? Für diesen Eichhörnchen-Tanz!
Zur Belohnung stellte sich die rote Zora auf ihre Hinterbeinchen, ließ stolz sein weißes Unterkleid aufblitzen und leckte sich dabei herzallerliebst am Pfötchen. Magda und ich jubilierten verzückt. „Oh, bist Du süüüüß“, gurrten wir gleichzeitig. Als Zugabe warf es uns noch einen kessen Blick zu, nahm einen eleganten Bogen den Hügel hinab, sprintete gewitzt über die Straße – von unseren fiebrigen Ausrufen begleitet – und verschwand hinter einem parkenden Auto im Buschwerk.
Ich fragte mich, wer wohl sonst heute eine so zufällige und doch so naheliegende Begegnung mit einem Eichhörnchen mitten in der Stadt hatte? So etwas erlebte man wohl nur bei einer Mundraub-Tour. „Sinnliche Naturerlebnisse erfahren“ – oh ja. „Die Stadt ist Dein Garten“ – absolut. Gewiss haben manche Gartenbesitzer noch gar nicht bemerkt, dass Eichhörnchen ein blitzweißes Bäuchlein besitzen.
Dabei war dies nicht unsere erste Begegnung mit einem roten Baumgesellen. In diesem Sommer hatten wir bereits zahlreiche fröhliche Erlebnisse mit den süßen „Eichkatzln“. Es war erst zwei Wochen her, da stand Magda vor einem Haselnussbaum und erklärte, wir Mundräuber befänden uns zeitweise in Konkurrenz mit den Eichhörnchen, da knallte ihr ein frecher Vertreter der Gattung zur Bestätigung ihrer Aussage eine Nuss auf die Stirn. Ähnliches erlebten wir in Lichtenberg, wo wir gerade vor einer rosa Haselnuss verweilten. Da sauste ein kleiner roter Bote durch die sommerlich sattgrünen Blätter, um schnell seine Beute vor den Mundräubern zu verstecken.
So intensiv wie in diesem Mundraub-Sommer habe ich Eichhörnchen nie erlebt. Als ich im Frühjahr von meiner Reise zurückkehrte, ahnte ich noch nichts von all dem. Es war eine unserer ersten Radtouren, wir kamen gerade vom Klettern zurück, als Magda mir von ihrer Idee erzählte, Mundraub-Touren durch die Stadt zu führen. Da ich ohnehin gerne was Neues ausprobieren wollte, schlug ich vor, wir sollten es einfach mal machen. So ist dann dieses Projekt entstanden, welches mich den ganzen Sommer über beschäftigt hatte. Es wird überraschend gut angenommen, wir hatten schon jede Menge positiver Presseberichte und auch wenn wir weit davon entfernt sind, davon schon richtig leben zu können, sind wir doch optimistisch genug, es weiter ausbauen zu wollen.
In der Zwischenzeit laufen die Leute mit Regenschirmen auf der Straße, Radfahrer schützen sich mit Regencapes. Die Tage werden kälter und kürzer. Dennoch planen wir bereits die nächste (und letzte) Mundraub-Tour in diesem Jahr. Und im nächsten Jahr geht es dann von der Blüte über die Frucht bis zur Ernte mit neuem Schwung voran. Wir sind idealistisch, optimistisch und vielleicht auch ein bisschen träumerisch, aber wir glauben an die gute Idee und machen einfach weiter. Die possierlichen Eichhörnchen sind es wert 🙂
Falls Ihr Euch wundert, warum ich nichts über das Projekt geschrieben habe – die Texte wurden hier veröffentlicht:
Exotische Früchte in Schöneberg
Und hier noch ein paar ausgewählte Zeitungsartikel:
taz – die Tageszeitung: „Lecker Prenzl‘ Berg“
Bezirks Journal Lichtenberg: „Obsternte in Berlin: Süsse Mirabellen am Spielplatz“
Berliner Morgenpost: „Wo Berlin ein Paradies für Mundräuber ist“
Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg mit Mundraub! Eichhörnchen beobachte ich auch sehr gern. Oft turnen welche in den Bäumen vor meinem Bürofenster. Meistens ist das spannender als das, was auf dem Monitor passiert. 🙂