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„Seltsam wie das Leben rauscht und auch am alten Orte immer wieder völlig neu ist.“ *

Nach einem Monat back in Berlin ist klar: In Berlin landen und ankommen sind zwei ganz unterschiedliche Vorgänge. Während ich meinen Koffer abstelle und „Hallo Berlin!“ rufe, geht die Reise in meinem Kopf weiter. Schwebend verbringe ich die ersten Tage, irgendwo zwischen Ankommen und Erinnerungen einfangen. Meine Augen müssen sich erst wieder an die normalen Bilder gewöhnen. Frühling, Freunde, dicke Socken.

Ah, wie weich das Wasser ist. So ungechlort, man kann es sogar trinken. In Australien war das Wasser so stark gechlort, dass es im Badezimmer nach dem Duschen immer wie im Schwimmbad roch. Die Haut juckt, das Goldhaar wird spröde. In Asien würde ich niemals Leitungswasser trinken, man benutzt abgefülltes Wasser aus der Flasche zum Zähneputzen. Hier also wieder ein Stück Normalität gewonnen. Hurra.

Zu Hause duftet es köstlich nach indonesischem Essen. Meine indonesische Nichte Ery kocht lecker Rendang. Überall auf der Welt war ich in ihrer Küche Gast, jetzt leben wir in Berlin zusammen. Mitbringsel aus aller Welt beleben unsere Wohnung. Alles ist mir sonderbar vertraut und neu zugleich. Ich bin da, aber auch nicht da. Muss meine Erinnerungen mit der Realität abgleichen… Manchmal weiß ich nicht, war das in Sydney oder in Berlin?

Gleich an unserem ersten Wochenende haben wir bei einem typisch Berliner Umzug mitgeholfen. Drei Leute, zwei WGs, vier Wohnungen. Also zwei Pärchen sind zusammen gezogen, eine WG hat die Besetzung gewechselt, alles auf vier Wohnungen verteilt. Wie man das so macht, haben wir jeweils eine Kette gebildet. Das heißt, auf jedem Stockwerk steht eine Person und nimmt Kisten von jemand entgegen und gibt diese an die Person im nächsten Stockwerk weiter. Wo wir im vergangenen Jahr höchstens Koffer und Sauerstoffflaschen geschleppt haben, waren es nun ganz gewöhnliche Umzugskisten. Aber: wo wir im vergangenen Jahr höchstens einen oder zwei Freunde auf einmal zu sehen bekamen, gab es nun auf jeder Etage ein bekanntes Gesicht. Wie schön. Wie normal. Realität mit Normalität abgleichen.

Am nächsten Tag trafen wir uns zum Angrillen bei Dirk&Annika auf deren wunderschöner Dachterrasse. Die beiden haben zwei riesenhafte Katzen, sie erinnern mich an Baumkängurus. Manchmal verirren sich exotische Assoziationen in normale Alltagssituationen und formen daraus neue Bilder. Auf dem Nachhauseweg rechtzeitig zum Tatort fällt mein Blick im Treppenhaus auf die frühlingsgrünen Bäume im Hinterhof. Darin sitzt etwas Graues und ich sehe einen Koala, wie er gemütlich die saftigen Blätter mampft. Ich schüttle mich und siehe da- sind es Berliner Tauben, die mir gurrend zuzwinkern.

Wir warten auf die S-Bahn und es gibt – wie immer, möchte ich fast sagen – „Schienenersatzverkehr“. Ich stehe am Gleis und warte auf die englische Durchsage, bis mir auffällt- sie kommt nicht und ich habe den deutschen Teil ja auch schon verstanden. Beim Bäcker um die Ecke fällt mir nicht mehr der passende Name ein. „Ich hätte gern eine, äh, wie heißt nochmal diese Stange mit Kümmel drauf?“ – „Kümmelstange?!“ – „Hö hö, der war jut“, feixt der Typ neben mir. Ich werde rot.

Ich muss mich tatsächlich erst mal wieder einleben in Berlin. Und mit den damit einhergehenden stinknormalen Situationen umgehen. Wie zum Beispiel dem Verlust meiner EC-Karte. Noch ganz verträumt zwischen Raum und Zeit schwebend habe ich diese letzte Woche im Fahrkartenautomaten stecken lassen und ein findiger Bürger hat damit gleich 100 Euro von meinem Konto abgeräumt. Zur Polizei, Anzeige gegen Unbekannt erstatten, zurück zur Bank, Verlust geltend machen etc. Alles Dinge, die irgendwie gar nicht zu meiner Traumtänzer-Stimmung passen. Aber alles gut gelaufen. Geld zurück bekommen, neue Karte bestellt, alles gar nicht so schlimm.

Wir sitzen in einem Café und genießen die Frühlingssonne. Wir wollen zahlen. „Zusammen oder getrennt?“ – „Verheiratet!“, will ich einwenden, doch dann fällt mir wieder ein, so macht man das hier. „Zusammen“, sage ich und gebe brav Trinkgeld. Das englischsprachige Gedränge im Mauerpark erinnert mich an das Festival in Newtown. Allerdings herrscht hier jeden Sonntag so ein Betrieb. Noch ans Englische gewohnt, bleiben meine Augen an vorbei fliegenden Namenskreationen hängen und ich frage mich, was wohl ein „Born Back“ – Laden zu bieten hat? Ob man da wohl wieder zurückgeboren wird, und wenn ja, wohin? Da wollte der Besitzer wohl etwas internationales Flair einfangen und hat die Kurve nicht gekriegt.

So langsam gewöhne ich mich wieder an das Leben in dieser Zeitzone. Bis vor kurzem war ich noch eher in dem Modus „Wir besuchen Robert und Ery in Berlin“. Die beiden sind noch in unserer Wohnung, haben aber bereits was Eigenes gefunden und ziehen im Mai um. Bis dahin herrscht hier noch ein bisschen WG-Feeling und das passt sehr gut zum weichen Ankommen hier.

Zum neuen Leben gehört jetzt auch das Klettern. Wir waren mit MaxDa in Spandau und an der „Schwedter Nordwand“, die sich praktischerweise keine 10 Minuten von unserer Wohnung befindet. Mich bis zum Gipfel hochkämpfen, dabei auch mal abzustürzen und trotzdem weiterzumachen, fühlt sich gut an. Mit solchen Aktionen halte ich die schönen Erinnerungen des letzten Jahres lebendig und betrachte die Welt trotz aufgeschürfter Knie mit einem Siegerlächeln.

Berlin erfindet sich immer wieder neu und ich bin dabei.

* Zitat von Karl Foerster, an der Schönhauser Allee entdeckt