Schlagwörter
Batik, Borobudur, HAMBA, Prambanan, Resatio, Street Art, ViaVia, Wayang Kulit, Yogyakarta
Moped fahren in Yogyakarta ist wie in einem Videospiel. Von allen Seiten, rechts und links, strömen knatternde Fahrzeuge ohne Seitenblick auf die Fahrbahn. Hupend vertrauen sie darauf, nicht angefahren zu werden. Auch auf unserer Fahrbahn kommen uns weitere Mopedfahrer mit am Lenkrad befestigten Hühnern und Kippe im Mund entgegen. Junge Mütter klemmen ihre Kleinkinder, kaum können sie stehen, zwischen die Beine, damit sie mit ihren kleinen Händen den Lenker greifen können, während sie mit ihrem freien Ärmchen vergnügt kreischend anderen Verkehrsteilnehmern hektisch zuwinken.
Auf die Frage, ob es in Yogya eigentlich Verkehrsregeln gibt, heisst es: Der Größte fährt zuerst. Mit dieser Losung fliesst der Verkehr überraschend flüssig dahin, auch wenn es auf den ersten Blick mehr als chaotisch erscheint, wie sich hier Auto an Auto, Kleinlaster an Bus und Moped und bejak und Fahrräder aneinander reihen.
Aufgrund einer verfehlten Verkehrspolitik der indonesischen Regierung stauen sich an den Ampeln der Hauptstrassen Hunderte, ach, Tausende Fahrzeuge. Auch auf den kleinen Inseln macht der Fortschritt nicht halt. Vor jeder Hütte mindestens ein Moped. Nicht selten sieht man minderjährige Jungs zu dritt auf einem motorbike, gerade gross genug, irgendwie steuern zu können. Motorisierte Zweiräder sind definitiv das beliebteste, weil günstigste, Transportmittel. Damit wird vom Schwein bis zum Schrank wirklich alles befördert.
Wohl wissend um den Transporthunger ihrer Millionen Einwohner und auf Steuereinnahmen schielend, fördert die Regierung den Individualverkehr und vernachlässigt dabei die durchaus existierenden öffentlichen Verkehrsmittel. So kostet eine Fahrt mit einem schrammeligen Bus keine fünfzig Cent. Wer den Mut aufbringt, in eines der spektakulär günstigen Fahrzeuge zu steigen nimmt in Kauf, dass das rostige Gefährt oftmals nur noch durch die Farbe auf der Karosserie zusammen gehalten wird – und unterläuft damit sogar noch die Preise für die spottbilligen becaks, wie sich die Fahrradtaxis hier nennen. Da die Busse nur in der Innenstadt halbwegs zuverlässig verkehren, sind die Bewohner selbst bei gutem Willen dennoch auf eigene Fahrzeuge angewiesen, wollen sie nicht für eine Fahrt ins Zentrum drei Stunden Lebenszeit verschwenden. Daher bringt es eine siebenköpfige Familie mitunter auf ebensoviele Autos. Kein Wunder, dass die Luft von Motorengeräuschen schwirrt und mich der hohe Kohlenmonoxid-Gehalt schläfrig macht.
In einer ruhigen Seitenstrasse haben wir dank Insidertipp von Nicola inmitten der hektischen Stadt eine kleine Oase zum Entspannen gefunden: das ViaVia guesthouse.
Das ViaVia bietet seit 1994 sanften Tourismus für verantwortungsvolle Reisende. Damals traf sich eine Gruppe von belgischen Vielreisenden, die sich Gedanken um den zunehmend negativen Effekt des Massentourismus auf Umwelt und Einheimische machten. Sie tauschten Ideen aus, wie man nachhaltigen Tourismus und einen respektvollen Umgang mit Natur und Kultur verbinden könnte. Daraus entstand das ViaVia, mit dependancen in mittlerweile elf verschiedenen Ländern. Teil des ViaVia Konzepts ist es, ganz gezielt Mädchen und Frauen einzustellen, da diese im öffentlichen Leben (nicht nur in der Tourismusbranche) stark unterrepräsentiert sind. Dazu gehört auch, sie mit Englisch Weiterbildungskursen zu fördern. Davon konnten wir bereits profitieren.
Am Morgen vor unserem ersten Trip kamen wir vor dem ViaVia mit netten Mädels ins Gespräch, die sich dann überraschend als unsere guides entpuppten. Hinter der souveränen Fahrerin auf dem motorbike sitzend und durch kleine Anekdoten gut unterhalten, düsten wir durch die vollgestopften Strassen.
Damit wurden wir auch noch ganz unverhofft zu Baumpaten. Denn nach jeder Tour, die mit dem Auto oder Moped unternommen wird, pflanzen die ViaVia Umweltaktivisten einen Baum zum Ausgleich. Dafür gibt es dann einen Pluspunkt für’s Karma und ein trees4tours-Zertifikat.
Um den vorbildlichen ViaVia Ansatz abzurunden, gibt es im guesthouse selbstgemachte fair trade Produkte wie Seifen, Taschen oder Spielsachen. — Übrigens wurde ich vom ViaVia nicht gesponsert, diese Lobeshymnen zu verfassen, ich bin einfach nur begeistert.
Einmal im Monat veranstaltet das ViaVia eine Ausstellung, in der regionale Künstler zum ersten Mal die Gelegenheit einer Einzelausstellung erhalten. Bei einer dieser Veranstaltungen habe ich den Illustrator Resatio kennen gelernt, und spontan das Bild „Rejuvenate“ gekauft. Ich freue mich jetzt schon darauf, der abgebildeten jungen Dame einen Ehrenplatz in unserer Wohnung zu verschaffen.
Von unserer kleinen Oase aus haben wir zu Fuss die Stadt erkundet, unsere Trips zu den hidden temples und den berühmten Tempeln Borobudur und Prambanan gestartet, eine zweitägige Wanderung zum Mount Merapi unternommen, dem gefährlichsten Vulkan der Welt, und ein Waisenhaus am Rande der Stadt besucht.
Das Waisenhaus HAMBA beherrbergt Kinder, die eigentlich Eltern haben, aber aus unterschiedlichsten Gründen nicht dort leben: Strassenkinder finden hier Geborgenheit, Erziehung und Unterricht. In Kleingruppen von max. 10 Personen leben Kinder und Jugendliche bis zu 16 Jahren mit einer Erzieherin in jeweils einem der sieben Häuser in Familienstruktur. Mit nur fünf Monaten wird die jüngste Bewohnerin Mela zwischen ihren quasi Geschwistern behutsam herum gereicht.
Nach einer Willkommensrunde nahm mich ein aufgeschlossener kleiner Junge namens Andi bei der Hand und forderte zum Murmelspiel auf. Das funktionierte auch ohne Worte und obwohl ich die Regeln nicht verstand, hatte ich anscheinend einmal gewonnen. Dies verschaffte uns eine Einladung zum Abendessen in einer Familie und wurde für uns alle zum freudigen Abschluss des Besuchs.
Ein Haus hat eine besondere Geschichte. Dort lebte Sara, ein junges Mädchen mit einer wunderschönen Stimme. Es verbrachte nur einige wenige Monate im Heim, denn ihren Eltern fiel irgendwann auf, dass sie vormals gutes Geld damit verdient hatten, das Mädchen auf der Strasse singen zu lassen und holten sie wieder ab. Weil sie wirklich aussergewöhnlich gut war, brachte es Sara mit ihrem Gesang zu bescheidenem Wohlstand und vermachte diesen später an das Waisenhaus. Ihr zu Ehren prangt im „Haus Sara“ eine grosse schwarz-weiss Fotografie mit ihrem Konterfei.
Das Projekt wird von einer holländischen Stiftung unterstützt und von deutschen Privatleuten mit Einzelspenden finanziert. Auch lokale Gelder fliessen zum Erhalt mit ein.
Insgesamt hatten wir einen sehr entspannten Aufenthalt in Yogyakarta bzw. Yogya, so die liebevolle Abkürzung. Zwischendurch hatte uns allerdings ein Erdbeben aus unserem gemütlichen Trott gerissen. Heftig wurden wir daran erinnert, dass Indonesien ja auf dem Pazifischen Feuerring liegt, wo mehrere Kontinentalplatten aneinanderstoßen. Diese sind ständig in Bewegung und lösen so Erdbeben oder Vulkanausbrüche aus. Nach einem kurzen Schreckmoment haben wir uns aber schnell wieder beruhigt und uns erst mal ein schönes kühles Bintang aufgemacht. So ist halt das Leben in Indonesien.
Anmerkungen zu den Fotos:
Kein Yogya ohne Batik, denn hier ist die kulturelle Hauptstadt (nicht nur) der Batikkunst Indonesiens. Wir hatten auch die Gelegenheit, beim Entstehungsprozess einiger Werke dabei zu sein.
Als wir den Borobudur Tempel besichtigen wollten, kam eine Horde Schulkinder angestürmt, um mit uns Englisch zu üben und Erinnerungsfotos zu schiessen. Danach sollten wir kurze Bewertungsbögen ausfüllen und darauf unterschreiben. Weil wir so freundlich mitgemacht haben, bedrängten uns immer mehr Schüler — gefühlte tausend Kinder und Autogramme später haben wir es dann auch zum Tempel geschafft. So oft wie in Yogyakarta bin ich noch nie im Leben fotografiert worden. Meine fünfzehn Minuten Ruhm sind damit abgehakt.
Der riesige Markt Baser Beringharjo in Yogyas Innenstadt bietet Batik-Stoffe, Klamotten, Haushaltswaren und Lebensmittel in allen Formen und Farben, Gerüchen und Gestalten feil.
Prambanan ist ein weiterer must-see Tempel, der ebenso wie der Borobudur zum UNESCO Weltkulturerbe gehört. Weil einer der Türme einsturzgefährdet ist, tragen alle Besucher einen witzigen Helm.
Das traditionelle Schattenspiel Wayang Kulit ist weit über die Grenzen Indonesiens bekannt. Leider droht die Tradition auszusterben, da willige Nachfolger aus der jungen Generation fehlen.
Zeitung lesen findet in Yogya häufig noch auf der Strasse statt: die aktuelle Ausgabe der Tageszeitung im öffentlichen Aushang.