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In Nairobi waren wir zu Besuch in einem Waisenhaus. Dort leben Mädchen, die von den Mitarbeiterinnen von der Strasse aufgelesen wurden. In Kenia gibt es ziemlich viele Strassenmädchen, die aus den verschiedensten Gründen dort landen. Ein Hauptgrund liegt sicherlich darin, dass es bei den meisten Stämmen Kenias traditionell noch immer bedeutend ist, einen Sohn zu gebären. Er soll die Familientradition fortführen und für den Erhalt des Clans sorgen. Deshalb werden in den Krankenhäusern regelmäßig Kinder nach der Geburt ausgetauscht. Das funktioniert leider ganz einfach: Die reichen Familien, die es auch in Kenia gibt, bestellen bei der Hebamme einen Sohn. Sie sorgt dann nach der Geburt dafür, dass die neugeboren Söhne der armen Mütter mit den Töchtern der reichen Mütter vertauscht werden. Möglich ist dies dadurch, dass die Frauen bei der Geburt allein sind. Es gibt nicht wie bei uns die Möglichkeit, dass der Vater oder andere Angehörige bei der Geburt dabei sind. Deshalb sind die jungen Mütter den Hebammen hilflos ausgeliefert. Natürlich sind die Mütter nach der Geburt zu erschöpft, um den Schwindel zu bemerken. Aber jeder weiss davon. Deshalb wundert es auch niemand, dass die reichen Familien in den meisten Fällen mit einem Erstgeborenen nach Hause gehen, während die Armen häufig „nur“ ein Mädchen bekommen. Unser Bekannter Seth, der uns die Geschichte erzählt hat, meinte dazu nur ganz trocken, dass dies wiederum die Kinder seien, die dann später ihre Eltern umbringen würden, da sie ja nicht vom selben Blut seien. Wundern würde mich das nicht, da ist sicher etwas Wahres dran.
Da die Mädchen also nicht so geschätzt werden wie Jungen, bekommen sie in der Regel auch keine Ausbildung und werden von den Eltern häufig als Ballast betrachtet. Warum in etwas investieren, das später sowieso durch die Heirat in einen anderen Clan entschwindet und dadurch für die Familie nutzlos wird – so ist die gängige Meinung.
Leider werden viele Mädchen zu Hause auch missbraucht, von ihren nahen Angehörigen, wie Vater, Onkel, Bruder… Wer weiss, vielleicht sind es aber gar nicht deren Angehörige, falls sie nach der Geburt vertauscht wurden. Jedenfalls erleben sie alle möglichen Formen der häuslichen Gewalt und landen häufig auch deshalb auf der Strasse.
Die Mädchen aus dem Waisenhaus Rescue Dada Center bleiben dort für ein Jahr. Sie sind zwischen drei und sechzehn Jahren alt und leben in kleineren Gruppen zusammen. Sie sollen in ihren Gruppen den Familienzusammenhalt erleben, den sie zu Hause nicht erfahren. Während ihres Aufenthalts dort gehen sie, je nach Alter, tagsüber in die Schule oder erhalten eine Ausbildung als Friseurin und Computer Training. Ausserdem gibt es psychologische Unterstützung in Form einer Therapie, bei der versucht wird, auch die Familie zu integrieren, damit z.B. Missbrauch und/oder Misshandlung ganzheitlich behandelt werden kann.
Nach einem Jahr werden die Mädchen entweder zurück geführt in ihre Herkunftsfamilie oder in einer Pflegefamilie aufgenommen. Sofern sie eine Ausbildung absolviert haben, werden sie noch weiter betreut, allerdings müssen sie selbst dafür sorgen, dass das Geschäft läuft und auch einen Teil des Gewinns an das Waisenhaus abführen.
Das alles erfuhren wir durch eine Einführung von der Leiterin des Waisenhauses, Mary, die uns auch die Unterkünfte, Küche und Schul- und Ausbildungsräume zeigte. Während unseres Rundgangs wurden wir genauso neugierig von den Kindern gemustert und schon bald hatten wir alle Hände und Arme voll mit den Kleinen. Man spürte sogleich, dass sie Nähe und Kontakt vermissen und suchen, weil sie sich fest an uns geschmiegt hatten und unbedingt auf den Arm wollten. Ich fand es erstaunlich, wie lebensfroh und fröhlich sie wirkten, obwohl sie alle sicherlich schon schwere Zeiten hinter sich haben. Sie sangen lauthals und machten witzige Posen beim fotografieren und lachten und kicherten die ganze Zeit. Es war echt ein schönes Gefühl zu wissen, dass sie dort gut aufgehoben sind. Nach unserem Besuch war ich ziemlich ergriffen von dem Schicksal der Kleinen. Irgendwie kann ich jetzt auch Leute verstehen, die ein Kind aus einem Waisenhaus adoptieren, weil man sofort den Wunsch verspürt, helfen zu wollen. Allerdings ist es wohl wirklich besser, die Kinder dann nicht aus dem Land zu holen. Man sollte schon versuchen, die Hilfe vor Ort einzusetzen. Ery z.B. wird dort als Volunteer anfangen. Ich hatte mir auch gleich überlegt, ob ich vielleicht beim Computer Kurs helfen könnte. Also sollte ich mal beruflich in Nairobi zu tun haben, wisst ihr, wo ihr mich finden könnt.
Hier gehts zur website: http://rescuedadacentre.org